nifbe-Auftakttagung zur neuen Qualifizierungsinitiative

Wie kann die Gesundheit und das Wohlbefinden von Kindern auf der Grundlage der Kinderrechte gefördert und gestärkt werden? Diese Frage stand im Fokus einer nifbe-Fachtagung mit Auftaktvorträgen von Prof. Dr. Susanne Viernickel und Prof. Dr. Jörg Maywald. Moderiert wurde sie von nifbe-Referent Peter Keßel. Hintergrund der Online-Tagung war der Start einer neuen nifbe-Qualifizierungsinitiative unter dem Titel „Kinder schützen, fördern und beteiligen. Gesundheit und Wohlbefinden in der KiTa“.
AdobeStock 152882704


In einem Grußwort unterstrich Staatssekretär Prof. Dr. Joachim Schachtner aus dem Ministerium für Wissenschaft und Kultur, dass „in den ersten Jahren die entscheidenden Grundlagen für die gesamte Bildungs- und Berufsbiographie unserer Kinder gelegt werden“. Wichtig sei daher eine qualitativ hochwertige Kindertagesbetreuung und hier rücke auch das Wohlbefinden von Kindern als Qualitätskriterium zunehmend in den Fokus. Er dankte dem von seinem Ministerium seit 2007 geförderten nifbe e.V. für die „in den vergangenen Jahren geleistete Arbeit und das hohe Engagement“, mit dem es sich als „wichtiger Baustein für die Qualitätsentwicklung in der frühkindlichen Bildung und der entsprechenden weiteren Professionalisierung der Fachkräfte etabliert habe“ – und zwar sowohl in Niedersachsen wie auch weit darüber hinaus.

Hoher sozio-emotionaler Förderbedarf

In der Folge führten Prof. Dr. Kai-Uwe Kühnberger und Cornelia Baden als Vorstandsmitglieder des nifbe e.V. in den neuen Bildungsschwerpunkt und seine gesellschaftlichen und fachlichen Hintergründe ein. Aktuelle Studien hätten so aufgezeigt, dass die Gesundheit und das Wohlbefinden von Kindern nach der Corona-Pandemie beeinträchtig seien. „Dies“, so Kai-Uwe Kühnberger „trifft offenbar insbesondere auf Kinder aus sozial benachteiligten Familien und aus Familien mit Migrationshintergrund zu“. Gerade im sozio-emotionalen Bereich werde von den KiTas ein hoher Förderbedarf konstatiert und Anzeichen dafür sei auch das von vielen Fachkräften zunehmend als herausfordernd wahrgenommene Verhalten von Kindern. Gesundheit und Wohlbefinden führte er als „multidimensionale Konstrukte“ mit sich gegenseitig beeinflussenden physischen, psychischen und sozialen Komponenten aus. Wohlbefinden habe dabei auch deutliche Bezüge zu anderen Konzepten wie der ResilienzResilienz|||||Resilienz kann als "seelische Widerstandsfähigkeit" verstanden werden mit der Fähigkeit Krisen zu meistern und diese als Anlass für Selbstentwicklungen zu nutzen. In der Resilienzförderung geht es speziell darum die Widerstandsfähigkeit von Kindern und Erwachsenen in belasteten und risikobehafteten Lebenssituationen durch schützende Faktoren zu entwicklen, zu ermutigen und zu stärken. Ein verwandter Begriff ist der der Salutogenese.  und der Selbstbestimmungstheorie und finde auf „einer Matrix aus Sein und Werden, dem well-being und dem well-becoming“ statt. Als zentrale Grundlage für das Wohlbefinden kennzeichnete der nifbe-Vorstandsvorsitzende „die Gewährleistung der Kinderrechte“ und eine entsprechend wertschätzende und unterstützende Beziehungs- und Interaktionsgestaltung in der KiTa.

Unterstützung der KiTas durch Inhouse-Angebote und Prozessbegleitung

Im Hinblick auf die konkrete Umsetzung der nifbe-Qualifizierungsinitiativen hob Cornelia Baden die zentralen Formate der Inhouse-Qualifizierung und der Prozessbegleitung heraus. „Durch die Qualifizierung von ganzen Teams und die Berücksichtigung der jeweiligen Ausgangslage der KiTa versprechen wir uns eine nachhaltige Wirksamkeit“, so das nifbe-Vorstandsmitglied. Die Prozessbegleitung finde dabei in einem dynamischen Wechsel aus Austausch, Reflexion, Intervention und Wissensvermittlung statt. Wie sie ausführte, werden in der aktuellen Qualifizierungsinitiative des nifbe Inhouse-Maßnahmen zu den drei Säulen der Kinderrechte, nämlich „Schützen“, „Fördern“ und „Beteiligen“, angeboten. Zudem gebe es Werkstätten für Leitungskräfte mit dem diesjährigen Fokus auf die Schutzrechte von Kindern. „Die Qualifizierungs-Angebote des nifbe“, so Cornelia Baden, „finden großen Anklang in den niedersächsischen KiTas und die Inhouse-Maßnahmen sind so auch schon weit überbucht. Interessierte KiTas können sich aber noch auf eine Warteliste für das nächste Jahr setzen lassen“. (Zu den Qualifizierungsangeboten)

„Flourishing“ als ideales Wohlbefinden

In Ihrem Auftaktvortrag richtete Prof. Dr. Susanne Viernickel von der Universität Leipzig ihren Fokus auf das kindliche Wohlbefinden und zeigte auf, wie dieses in der KiTa gefördert und bewertet werden kann. Auch sie hob das Wohlbefinden des einzelnen Kindes neben dem Blick auf Strukturen wie Personalschlüssel oder Gruppengröße sowie Prozesse der beziehungs- und entwicklungsförderlichen Interaktion als wichtiges Qualitätskriterium heraus. „Hier wird Qualität ganz konkret und nicht abstrakt standardisiert deutlich“, argumentierte sie. Wichtig sei hierbei auch die Berücksichtigung der Kinderperspektive und die subjektive Einschätzung der Kinder selbst.

Wie die Erziehungswissenschaftlerin ausführte, wurde Wohlbefinden in internationalen Vergleichsstudien bisher häufig an quantitativen Indikatoren wie dem Einkommen der Eltern objektiv bewertet und war damit „weit weg vom einzelnen Kind“. Nun rücke aber zunehmend das subjektive Wohlbefinden auf Grundlage eines bio-psycho-sozialen Modells in den Fokus und „als Idealzustand kann man das sogenannte ‚flourishing‘ bezeichnen, mit dem das Kind erblüht“ und im Schwung sei und sich rundum wohl fühle.

Im Rekurs auf Studien wie StimtS oder WoGe zeigte Susanne Viernickel auf, wie sich Wohlbefinden auf der einen Seite und Risikofaktoren und Gefährdungen auf der anderen Seite beurteilen lassen. Wohlbefinden lasse sich grundsätzlich auf drei verschiedenen Ebenen analysieren:

Körperliches Wohlbefinden
  • Dies zeigt sich im emotionalen Ausdruck und einer körperlichen Zufriedenheit, die insbesondere abhängig ist von der Erfüllung der Grundbedürfnisse.

Psychologisches Wohlbefinden
  • Entscheidende Faktoren sind hier das Gefühl von Handlungskontrolle und Selbstwirksamkeit sowie die Aktivierung von Bildungspotenzialen durch Spiel, Exploration und kognitive Anregungen. Ziel ist ein positives Selbstkonzept / Selbstwertgefühl, eine Zufriedenheit mit sich selbst.

  • Soziales Wohlbefinden
Hier stehen die emotionale Sicherheit und die Beziehungssicherheit sowohl in der Fachkraft-Kind-Beziehung wie in der Peer-Group im Zentrum; kindliche Bedürfnisse müssen angemessene Reaktionen erfahren und die soziale Teilhabe / Beteiligung muss gewährleistet sein

Wohlbefinden NifBE Viernickel 240430 extern
© Susanne Viernickel





Ansätze der Wohlbefindens- und Risikoanalyse

Auch im Hinblick auf die Risikofaktoren in der KiTa unterschied Susanne Viernickel verschiedene Ebenen, die von individueller Disposition über Gruppen-Zusammenstellung, Beziehungsqualität, die räumlich-sachlich Bedingungen oder den Tagesablauf bis hin zu Umfeld-Bedingungen in Familie und Sozialraum reichten. Wie die StimtS-Studie gezeigt habe, wiesen Kinder mit erhöhten Risikofaktoren ein geringeres Wohlbefinden in allen Facetten auf. Sie unterstrich: „Das Augenmerk muss in der KiTa auf der Kumulierung von Risikofaktoren bei einzelnen Kindern liegen.“

Für den schnellen Einsatz in der Praxis stellte die Expertin für Wohlbefinden am Beispiel des fiktiven KiTa-Kinds Sina, die häufig gehemmt und niedergeschlagen wirkt, den „Circle of well-being“ vor. Hierbei gehe es entlang der drei unterschiedlichen Dimensionen des Wohlbefindens um das „Sehen – Verstehen – Handeln – Prüfen“. Als weitergehende Instrumente für die Wohlbefindens- und Risikoanalyse verwies sie auf das Dresdner Modell zum Wohlbefinden der Jüngsten, das von Rahel Dreyer entwickelte WaBe und das sich in der Finalisierung befindliche WoGe von Susanne Viernickel selber.

Kinderrechte als Grundlage von Wohlbefinden

In einem zweiten Hauptvortrag stellte Prof. Dr. Jörg Maywald das „Haus der Kinderrechte“ vor und brach einleitend noch einmal eine Lanze für die Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz – denn nur dann könnte der in den UN-Kinderrechten verankerte Vorrang des Kindeswohls bei politischen Entscheidungen im Kleinen und Großen tatsächlich Priorität bekommen und auch einklagbar sein.

Der Kinderrechtler unterstrich in der Folge, dass Kinder „Grundrechteträger von Anfang an“ seien. Zugleich wies er aber auch darauf hin, dass Kinder und Erwachsene „gleich und unterschiedlich sind“. Zwischen Erwachsenen und damit auch Fachkräften und Kindern bestehe ein „asymmetrisches Verhältnis“ und ein nicht wegzudiskutierendes „Macht-Verhältnis“. „Erwachsene sind für die Kinder verantwortlich, aber Kinder nicht für die Erwachsenen“ pointierte er.

Mit Blick auf das „Haus der Kinderrechte“ zeigte er den übergreifenden „Vorrang des Kindeswohls“ auf und ging dann auch mit vielen Bezügen zur KiTa-Praxis näher auf die drei Säulen der Schutz-, Förder- und Beteiligungsrechte ein.

Er warnte davor, die Schutzrechte allein auf den Schutz vor Gewalt zu reduzieren, „denn diese sind sehr viel umfangreicher“. Subsummiert seien hier so auch der Unfall- und Gesundheitsschutz, der Medienschutz und auch der Schutz der Privatsphäre, zu dem auch der Datenschutz und hier beispielsweise das Recht auf das eigene Bild gehöre. Als zentrales Grundprinzip der gesamten Kinderrechte gehöre aber auch insbesondere der Schutz vor Diskriminierung gleich welcher Art zu dieser Säule.

Schutz vor Diskriminierung als Grundprinzip

Im Hinblick auf die Förderrechte hob Jörg Maywald das Recht auf Bildung, „und zwar in einem umfassenden und ganzheitlichen Sinne“ heraus. Gemeint sei hier daher auch nicht nur die kognitive Bildung, sondern die gesamte Persönlichkeitsbildung und die entsprechende Entwicklung sozio-emotionaler Kompetenzen. Ebenso gehe es in dieser Säule aber auch um das Recht auf Spiel und Erholung wie auch um das Recht auf Gesundheitsförderung.

Bei den Beteiligungsrechten fokussierte er auf die „freie Meinungsäußerung“ und das Recht der Kinder darauf, ihr Sichtweise zu äußern und gehört zu werden – und zwar nicht nur verbal, sondern in allen kindlichen Ausdrucksformen je nach Entwicklungsstand.

Übergreifend stellte Jörg Maywald „die Unteilbarkeit und Universalität der Kinderrechte“ heraus. Das eine Kinderrecht können nicht gegen ein anderes ausgespielt werden und keines sei wichtiger als ein anderes. Kinder hätten des Weiteren „ein Recht darauf, ihre Rechte zu kennen“ und damit sei auch ein „Auftrag an Bildungseinrichtungen“ verbunden.

Balance zwischen Kindeswille und Kindeswohl

Am klassischen Beispiel des Kindes, dass trotz Kälte nur im T-Shirt nach draußen möchte, verdeutlichte der langjährige Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind abschließend das Spannungsfeld zwischen Kindeswille und Kindeswohl. Zum Wohl des Kindes müssten sich Fachkräfte sowohl an den Grundbedürfnissen wie an den Grundrechten des Kindes orientieren und dann „die günstigste Handlungsalternative abwägen“. In diesem Sinne müsse in der KiTa immer eine Balance zwischen dem Schutz der Kinder auf der einen Seite sowie der gezielten Förderung ihrer Eigenständigkeit, Selbstwirksamkeit und Partizipation auf der anderen Seite hergestellt werden.

Nach den beiden Hauptvorträgen konnten die rund 200 Teilnehmer*innen in zwei Panels zwischen jeweils acht verschiedenen Workshops rund um die Gesundheit und das Wohlbefinden der Kinder sowie die Umsetzung der Kinderrechte im KiTa-Alltag auswählen und hier ihr Wissen vertiefen und sich miteinander austauschen.

Präsentation Kühnberger-Baden

Präsentation Susanne Viernickel


Karsten Herrmann